Der erste Eindruck trügt nicht. Als Thomas von Heesen das Bistro, fünf Autominuten vom Trainingsgelände entfernt, betritt, ist der Empfang herzlich. "Hallo Thommy", ruft der Inhaber. Für die "Chefin" gibt es Küsschen links und rechts, bevor Bielefelds Trainer einen Tisch am Fenster und für sich dort den Platz im Schatten wählt.
Im Schatten fühlt er sich wohl. Ins gleißende Licht zieht es ihn auch im Job nicht. Einladungen ins Fernsehen lehnt er meist ab mit den Worten: "Nehmt einen meiner Spieler. Die haben es verdient."
Für den kicker nimmt er sich eine Stunde Zeit. "Um 14 Uhr hab ich einen anderen Termin." Das sollte klappen, denkt man. Gerade weil von Heesen das Gespräch mit den Worten eröffnet: "Ich mag nicht in der Öffentlichkeit dozieren. Das wäre so, wie wenn ein Koch seine Geheimrezepte verrät."
Dabei hat er viel zu sagen, wie schnell deutlich wird. "Ich habe lieber den aktiven als den reaktiven Part", beschreibt er seine Philosophie. Man merkt es schon im Gespräch. Als die Bedienung nach einer Apfelschorle einen Cappuccino serviert und ihn unterbricht, genügt nur ein Stichwort und der 44-Jährige referiert weiter über seine Vorstellung von Fußball.
Die ist klar: "Pressing" und "auf Ballbesitz spielen" sind die zentralen Begriffe. Kompromisse mag er nicht. "An den Plan muss jeder glauben", ist ein anderer Kernsatz. Von Heesen weiß: "Je stärker der Kader, desto individueller sind die Spieler und umso schwieriger wird es, sie in den Plan einzubinden. Es ist schwierig, dass sich ein Topmann für einen Mitspieler opfert." Doch: "Bei Happel war das so."
Das Stichwort: Happel. Ernst Happel. Sein "Ziehvater" wie er ihn nennt. "Ich will ihn nicht kopieren", versichert von Heesen. Und doch erinnert viel in seiner Arbeit an den verstorbenen Erfolgstrainer des HSV. Ein Blick auf das Vormittagstraining reicht, um die Parallelen zu erkennen. Das Fünf gegen Zwei verfolgt er auf einem Ball sitzend, wie es Happel tat. "Ich beobachte meine Spieler gerne, mache mir dabei Gedanken über ihre mentale Situation", sagt er, vom Hinweis auf die identische Verhaltensweise überrascht. Die ist fast durchweg zu finden. Spricht er zur Mannschaft, tut er dies leise. "Dann ist alles ruhig" und rückt zusammen. Ein pädagogischer Effekt, den von Heesen wie einst Happel nutzt. Als seine Profis Passfolgen üben, hört man ihn nicht. Die Ansagen übernimmt lautstark "Co" Frank Geideck, wie damals Happels Assistent Aleksandar Ristic.
Von Heesen, der nach der WM die Fußball-Lehrer-Lizenz erwerben wird, favorisiert wie einst Happel die niederländische Fußballschule. Das beim Österreicher aufgesaugte Repertoire setzt er dosiert ein. "Ich darf die Mannschaft nicht überfrachten, sonst verliert sie die klare Ausrichtung", weiß von Heesen, der diese Saison als Nachfolger Uwe Rapolders trotz des Verlusts etlicher Stützen das 4-2-3-1-System weiterentwickelte, das Team im 4-4-2 und 4-3-3 gar taktisch flexibler machte. Eine sensible Kiste. "Ich darf den Fehler nicht machen, meinen Erfahrungsschatz als Maßstab für meine Spieler zu nehmen, die sich hier entwickeln sollen. Ich muss ihnen den Weg zeigen. Dabei habe ich viel Geduld." Die schnell erschöpft sein kann. Wiederholen sich leichte Fehler, kann er aus der Haut fahren. Denn: "Ballbesitz ist das höchste Gut."
Und wieder erzählt er von Happel. Der habe am Tag nach einem Spiel im Training eine Stunde lang auf Ballbesitz spielen lassen. Barcelonas Auftritt im Champions-League-Halbfinale, als Ronaldinho und Co. vor 14 Tagen in San Siro die Italiener im zweiten Durchgang hinterherlaufen ließen, entzückt von Heesen. "Das war Happels Spiel. Das liebe ich." Den Glanz des Kollektivs.
Von Heesen setzt auf Teamwork. Egozentrik ist nicht sein Ding. "Ich will Spieler nicht manipulieren, damit ich Erfolg habe. Ich will die Spieler dahin bringen, dass sie den Ansporn haben, für das gefeiert zu werden, was sie erreichen", erklärt er seinen Ansatz. "Ich bin nicht der große Zampano. Ich bin vom Naturell her so, dass ich das nicht mehr brauche." Die Schlagzeilen hat er als Spieler genossen, als er mit dem HSV in den 80ern den Europapokal der Landesmeister, Meistertitel und den DFB-Pokal gewann.
14.20 Uhr, von Heesen ist in seinem Element: Motivation, Taktik, Strategie. Der andere Termin wird per Handy verschoben: "Trink schon mal einen Kaffee - ich zahl!", bittet er einen "Tony".
Von Heesens Erfolge als Spieler bestimmen seine Perspektive. Der Blick geht nur nach oben. "So bin ich in meiner Karriere erzogen worden." Positives Denken und Vertrauen in die eigene Stärke lebt er auch an der Linie vor. "In kritischen Situationen bin ich ruhig, vielen vielleicht zu ruhig. Reinrufen, um mich abzureagieren - das bin nicht ich." Da ist er der coole Thommy und denkt "an die Lösungen, denn ich hasse es zu verlieren". Happel hielt es ähnlich.
Auch wenn der Name immer wieder fällt, hören ihn die Spieler nie aus dem Mund ihres Trainers ("Das Wort, früher’ kann man im Fußball streichen"). Dessen Erfolgsorientierung spüren sie dennoch täglich. Als ihm mal ein Profi auf die Frage, was er nächste Zweitliga-saison anstrebe, antwortete: "Oben mitspielen!" - erntete dieser nur Kopfschütteln. "Das geht nicht. Du musst aufsteigen wollen. Und dann will ich auch Meister werden, weil Erster besser als Dritter ist." Solche Ansagen mag er, weil sie Charakter voraussetzen. "In einer schwierigen Situation so was zu formulieren, ist die Leistung. Mit dem Druck, den ich mir damit auferlege, trainiere ich jeden Tag, um mein Ziel zu erreichen." Deswegen war es aus von Heesens Sicht auch richtig, dass man beim HSV jüngst den Meistertitel als Ziel öffentlich ausrief.
Wie lange er noch in Bielefeld Ziele vorgibt, wo er bis 2005 Geschäftsführer war, vorher mal Teammanager und 1994 mit Fritz Walter und Armin Eck begann, den Klub von der Dritten in die Erste Liga zurückzuschießen, ist offen.
Immerhin: Eine gewisse Vereinstreue zeichnet ihn aus. Auch wenn die zwölf Jahre in Bielefeld (mit Intermezzos als Trainer in Saarbrücken und Manager in Hannover) nicht geplant waren. Hier wird er gemocht. "In Bielefeld nennen mich viele Thommy", beschreibt von Heesen die gewachsene Beziehung. "Die Leute haben gesehen: Der haut nicht ab, wenn es eng wird. Das wird anerkannt." Sogar Finanz-Geschäftsführer Roland Kentsch, der nie "Thommy" sagt, lobt: "Wer unter diesen strukturellen Bedingungen solchen Erfolg hat, kann nur ein guter Trainer sein."
Und deshalb wird Bielefeld nicht seine letzte Station sein. Ob es ihn zu einem großen Klub zieht wie seinen Weggefährten und Bayern-Trainer Felix Magath, mag von Heesen ("Felix und ich haben einige Parallelen") nicht sagen. "Ich kann nicht in die Zukunft schauen", wiegelt er ab. Wer sein Credo ("Immer ans Limit gehen, um das Limit zu erreichen") kennt, weiß, dass er diesen Schritt irgendwann vollziehen wird.
Dort wird er dann auch sagen: "Für Hobbys bleibt keine Zeit." Von Heesen entspannt beim Essen mit Freunden und Kurz-Trips mit Freundin Sylvie und Tochter Emma-Maribel (2) nach Hamburg, wo er im Norden ein Haus besitzt. "Das ist meine Insel." In Bielefeld wohnt er zur Miete. Kaum Zeit bleibt auch für den Musik-Fan ("Pop, Rock, Soul"), sich seiner etwa 15 000 CDs und LPs umfassenden Sammlung zu widmen. "Gute Musik muss man laut hören", sagt er, "zu Hause läuft Benjamin Blümchen." Bleibt das Auto. Dort dröhnt zurzeit David Grey aus den Boxen des 190er Mercedes. Als Präsident Hans-Hermann Schwick ihm kürzlich einen neuen Dienstwagen anbot, lehnte er ab. "Die Möhre tut’s doch", so sein flapsiger Kommentar. Erzählt’s, beendet nach fast zweieinhalb Stunden das Gespräch und zahlt, ohne den Einspruch gelten zu lassen. Halt der "liebe Thommy".
| |